Praxisbeispiel
Beschreibung
Immer mehr Menschen, auch in Baden-Württemberg, leben alleine und oft fehlt besonders Singles und Senior:innen der Kontakt zu Nachbar:innen oder die Einbindung in ein soziales Netzwerk. Das Wohnprojekt „Heller Wohnen“ soll ihnen die Möglichkeit bieten, Teil einer Gemeinschaft zu sein und durch den ständigen Kontakt zu anderen Menschen jeden Alters angeregt, aktiv und geistig fit zu bleiben. Auch Familien mit Kindern finden im Wohnprojekt Anschluss und profitieren von der hilfsbereiten und gemeinschaftlichen Atmosphäre.
Das Ziel des Wohnprojektes und des Vereines ist es, gemeinschaftliches Zusammenleben mehrerer Generationen zu fördern und Wohnräume zu schaffen, die den Mitgliedern in allen Lebenssituationen guttun und ihnen auch bei Krankheit und schwerer Pflegebedürftigkeit ermöglichen, im Wohnprojekt zu bleiben. Das Projekt richtet sich an Menschen aller Altersgruppen, die das generationenübergreifende, gemeinschaftliche Wohnen befürworten und aufgeschlossen gegenüber gemeinsamen kulturellen, sozialen und gesundheitlichen Aktivitäten sind.
Umsetzungsschritt 1: Planungsphase
Nach einer Volkshochschulveranstaltung zum Thema „Warum einsam? Lieber gemeinsam!“ im November 2002 bildete sich eine Initiativgruppe, die sich mit alternativem Wohnen in Schwäbisch Hall beschäftigte. Angeregt durch die Besuche verschiedener Wohnprojekte klärten sich bei den Teilnehmenden die Bedürfnisse und Zielvorstellungen. Nach einer gemeinsamen Zukunftswerkstatt wurde konsequent an einer Konzeption „Gemeinschaftliches Wohnen für Jung und Alt“ gearbeitet. Danach trat die Gruppe der Wohngenossenschaft „pro.. gemeinsam bauen und leben“ bei, um mit ihr gemeinsam das Wohnprojekt „Heller Wohnen“ zu planen. Die Genossenschaft sollte auch die gewünschten Mietwohnungen bauen. Ein passendes Grundstück konnte mithilfe der Stadt gefunden werden. Da trotz der abgeschlossenen Planung noch weitere Mitstreiter:innen fehlten, gab es in den Jahren 2008/2009 zahlreiche Informationsveranstaltungen. Ende 2009 war die Realisierung und die Finanzierung des Projektes gesichert und die Planungsgruppe gründete zusätzlich den Verein „Heller Wohnen in Schwäbisch Hall e.V.“, der als juristische Person helfen sollte, das Projekt in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, für Ideen des Generationenzusammenhaltes zu werben und entsprechende Initiativen zu unterstützen.
Umsetzungsschritt 2: Bauphase
Im Dezember 2009 wurde der Kaufvertrag für das Grundstück unterschrieben und die Baugemeinschaft entstand. Im März folgte der Spatenstich und bereits im November 2010 konnte das Richtfest gefeiert werden. Ein Jahr später stand der barrierefreie, Niedrigenergie-Gebäudekomplex, der aus vier Teilen besteht, die mit Laubengängen verbunden sind. Die drei Wohngebäude bestehen aus 22 Wohneinheiten mit unterschiedlichen Zuschnitten und verschiedener Größe (von 45 m² bis 106 m²). Sie bieten Platz für etwa 40 Bewohner:innen. Der vierte Gebäudeteil ist das Gemeinschaftshaus mit Kommunikationsräumen und Küche, sowie einem Gästeappartement und mit einer Dachterrasse. Die gestalteten Freiflächen um den Gebäudekomplex bieten zusätzlich Raum für Begegnungen und Aktivitäten.
Umsetzungsschritt 3: Wohnphase
Nach und nach zogen die Bewohner:innen in ihre fertigen Wohnungen ein und im Juli 2012 fand die offizielle Einweihungsfeier statt. Zwei der Wohneinheiten werden als Wohngemeinschaften an junge Menschen und Studierende vermietet, können allerdings bei Bedarf zu Pflegewohngemeinschaften umgestaltet werden, sodass das lebenslange Wohnen im Wohnprojekt, selbst bei starker Pflegebedürftigkeit, möglich ist. Die Bewohner:innen setzen sich aus Eigentümer:innen und Mieter:innen zusammen, die alle auch Vereinsmitglieder sind und über dieselben Rechte und Pflichten innerhalb der Gemeinschaft verfügen.
Die Wohngemeinschaft trifft sich alle 14 Tage zur Hausgemeinschaftssitzung, hier werden wichtige und aktuelle Themen besprochen und Vorhaben geplant. Bei Meinungsverschiedenheiten und Konflikten wird nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, wie z.B. Einzelgespräche, Einleitung eines Konsensverfahrens oder auch Mediation von außen.
Neben diesen Sitzungen gibt es weitere regelmäßige Veranstaltungen wie Yoga, Gymnastik, Filmabende, hausinterne Kneipe u.a. Gelegentlich werden auch Feste, Ausflüge, Reisen und andere Aktivitäten vorbereitet. Um den Kontakt zur weiteren Nachbarschaft zu pflegen, werden die Familien der umliegenden Wohngegend häufig eingeladen, um an Spieleabenden, Puppentheatern, Bastelarbeiten u.a. teilzunehmen. Den Alltag organisieren die Mitglieder des Wohnprojekts in eigener Regie. Dazu gibt es Arbeitsgemeinschaften, an denen sich die Bewohner:innen je nach Fähigkeit beteiligen. So gibt es kleine AGs, die sich um folgende Aufgaben kümmern: Garten, Müll, Technik, Gästeappartement, Öffentlichkeitsarbeit, „Subbotnik“ (samstägliches Reparieren und Säubern), WG-Betreuung u.a. Diese Tätigkeiten werden ehrenamtlich ausgeführt, sodass die laufenden Kosten für alle Bewohner:innen gering bleiben.
Für die Realisierung eines solchen Projektes müssen vorab Mitstreiter:innen gefunden werden, die nicht nur Interesse am gemeinschaftlichen Leben haben, sondern darüber hinaus bereit sind, über längere Zeit am Entstehen mitzuarbeiten. Auch die Finanzierung von Mietwohnungen stellt eine Hürde dar, zumal öffentliche Fördermittel, wie der soziale Wohnungsbau, zurückgefahren wurden. Um ein solches Wohnprojekt zu realisieren wird entweder ein passendes Gebäude oder eine Freifläche zur Bebauung benötigt. Das Gebäude sollte familien-, senioren- und behindertengerecht sein und neben verschieden großen Wohneinheiten auch über Möglichkeiten zur häuslichen Pflege verfügen. Unerlässlich sind Gemeinschaftsräume, die für Begegnungen, Besprechungen und gemeinsame Aktivitäten genutzt werden. Der Standort muss eine umfassende, möglichst barrierefreie Infrastruktur bieten, wie Einkaufsmöglichkeiten, ärztliche Versorgung, Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel, Schulen, Kindergärten etc.
Nach zehn gemeinsamen Jahren im Wohnprojekt hat sich die Hausgemeinschaft durch Umzüge, Zuzüge und Todesfälle geringfügig geändert, sodass 38 Personen in einer Altersspanne von zwölf bis 91 Jahren im Mehrgenerationenhaus leben. Eine WG wurde so umgebaut, dass eine kleine Wohnung für eine Pflegekraft entstanden ist. Dadurch konnte in der Vergangenheit ein dementer Pflegebedürftiger lange in der eigenen Wohnung verbleiben. Verändert hat sich seit Beginn des Projekts zudem, dass die Verwaltung nach sechs Jahren an eine Firma für professionelle Hausverwaltung übertragen wurde. Das entlastet sowohl die vormals dafür zuständige AG Verwaltung als auch den täglichen Umgang miteinander. Darüber hinaus sollen die regelmäßigen Hausversammlungen künftig „entrümpelt“ werden, um mehr Dialog und Teilhabe zu ermöglichen. Diese Versuche laufen derzeit noch.
Inzwischen ist das Projekt einigermaßen bekannt geworden und erhält viele Anfragen von Gruppen, die sich für das Thema gemeinschaftliches Wohnen interessieren. Diese Gruppen erhalten die Möglichkeit, während eines Rundgangs Auskünfte rund um das Zusammenleben im Mehrgenerationenhaus einzuholen. In diesem Zusammenhang besuchte im Sommer 2021 auch eine Vertreterin des „German Marshall Fund of the United States“ im Rahmen eines Forschungsauftrags des U.S. Bundesministeriums für Wohnungspolitik die Einrichtung, um zahlreiche Interviews mit den Bewohner:innen, den Verantwortlichen im Projekt und den Vertreter:innen der Stadtverwaltungen zu führen.